Robert ist eher ausversehen auf den Treppenstufen gelandet,
die zur S-Bahn hinunterführen. Die verschnupfte Masse hat ihn von der
Rolltreppe verstoßen, und kaffeesehnsüchtig und noch ein wenig verwirrt vom
Anblick des hilflosen Mannes, der auf den Straßenbahngleisen in den
Krankenwagen getragen wurde, steigt er die Stufen hinab, die plötzlich kehrt
machen und sich von der langen, endlosen Rolltreppe hinwegdrehen. Der gedrungene
Betonkasten des Treppenhauses, kaum begangen, endet in einem Zwischengeschoß,
nein, endet nicht, es geht links unten weiter, doch gefühlt endet hier die
Welt. Es ist fast so dunkel wie am Rosenheimer Platz an einem frühen
Dezembermorgen, bevor die Weihnachtsdekoration eingeschaltet wird. Es riecht
schlecht, offensichtlich wird das Treppenhaus doch manchmal noch benutzt. Im
Hintergrund fährt eine S-Bahn, unter seinen Füßen, über seinen verfrorenen
Ohren, sie können es kaum unterscheiden. Als Robert sich gerade auf dem
Treppenabsatz umwenden will, um den nächsten Teil des Abstiegs in Angriff zu
nehmen, öffnet sich plötzlich eine vorher nicht vorhandene Tür in der Waschbetonwand. Ein Bauarbeiter erscheint,
vielleicht hat er sich gewundert, wer denn hier vorbeiläuft. Hinter seinem
gelben Schutzhelm leuchtet es.
Robert bleibt stehen. Darf ich mal hinein schauen?
Klar. Hier wird gebaut. Nichts Besonderes.
Der Raum hinter der Tür ist riesig. Robert wundert sich,
dass ein solcher Saal unter den Rosenheimer Platz passt. Ich bin doch nur ein
paar Stufen hinuntergestiegen, denkt er sich. Das Licht kommt von einer konisch
geformten Pendelleuchte, die über einem Tisch sitzt, an dem mehrere Arbeiter
gerade ein Frühstück einnehmen und eine Zeitung betrachten. Abgesehen von dem
einfachen Tisch und drei Klappstühlen ist der Raum völlig leer. Plötzlich merkt
Robert, dass der Saal endlos ist. Das kann doch nicht der Rosenheimer Platz
sein. Das ist ein Universum. Der Lichtpegel der Industrieleuchte vergrößert
sich, die Lüftungsschächte an der Decke verschwimmen in seinem Licht, Robert
fühlt einen steten, kräftigen Sog, dem er nur widerstehen kann, weil er seine
Augen auf den einen, schwarzen Punkt fixiert, den Schirm der Leuchte, von dem
aus alles sich verändert. Wer hätte gedacht, was sich unter dem Rosenheimer
Platz so alles verbirgt. Konzentriert auf die massive Schwärze des Lampenkorpus
sieht er in seinen Augenwinkeln das Licht in farbigen Kurven schwingen, die
sich an den Rändern spiralförmig schäumen. Klar, denkt er, Fraktalgeometrie,
auch das Licht baut Apfelbrotmännchen, aber er wagt es nicht, genauer hin zu
sehen, und mit aller Anstrengung bleibt sein Blick auf dem Mittelpunkt der Welt
ruhen, umbilicus urbis, Unter- und Oberwelt verbinden sich, aber er sieht nur
aus dem Augenwinkel, und kann nur ahnen, wie das Licht sich entscheidet,
geometrischen Formen nicht mehr zu gehorchen, sondern in einem Schrei, einer
Welle, unberechenbar, aufzusteigen, und die Wände, längst verschwunden,
zu verschlingen.
Genug gesehen? Ich muß wieder zumachen.
Der Bauarbeitet
verschwindet hinter der Tür. Die Konturen der Tür zeichnen sich von der kühlen,
eingedunktelten Betonwand kaum ab. Vielleicht gibt es keine Tür, denkt Robert,
und wendet sich wieder dem Treppenabstieg zu, der zu den S-Bahngleisen führt.
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